Wirbt Robert Habeck für slow communication?

Vorausgestellt ein Gedanke von mir zum Twitter- und Facebook-Rückzug von Robert Habeck:

Schnelle Werkzeuge wie eine Kreissäge sind äußerst hilfreich – aber umso sorgfältiger sollte der Umgang damit sein. Muss man deshalb auf Kreissägen verzichten? Nein! Und – wenn zu viele, zu viel sägen, sind Ohrenschützer segensreich.

Aber lassen wir nun Robert Habeck zu Wort kommen:

In seinem Blog https://www.robert-habeck.de/texte/blog/bye-bye-twitter-und-facebook/ äußert er sich selbstkritisch zu seinen Video-Beiträgen, in denen er sagte: „Wir versuchen alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird.“ oder zur Bayernwahl „Endlich, endlich gibt es wieder Demokratie in Bayern. Eine Alleinherrschaft wird beendet.“

Nun der Auszug:

„… Ich habe schon nach dem Bayern-Video darüber nachgedacht. Nach einer schlaflosen Nacht komme ich zu dem Ergebnis, dass Twitter auf mich abfärbt. Dass ich mich bei beiden Videos, auch dem Bayrischen – unbewusst auf die polemische Art von Twitter eingestellt habe. Twitter ist, wie kein anderes digitales Medium so aggressiv und in keinem anderen Medium gibt es so viel Hass, Böswilligkeit und Hetze. Offenbar triggert Twitter in mir etwas an: aggressiver, lauter, polemischer und zugespitzter zu sein – und das alles in einer Schnelligkeit, die es schwer macht, dem Nachdenken Raum zu lassen. Offenbar bin ich nicht immun dagegen.

Dabei ist mein politisches Ding doch genau das Gegenteil. Die Interessen der anderen Seite sehen und ernst nehmen, nicht überheblich oder besserwisserisch zu agieren. Das ist jetzt zweimal von mir konterkariert worden. Twitter desorientiert mich, macht mich unkonzentriert, praktisch, wenn man in Sitzungen verstohlen aufs Handy schaut. Grundsätzlich, weil ich mich dabei ertappt habe, wie ich nach Talkshows oder Parteitagen gierig nachgeschaut habe, wie die Twitter-Welt mich denn gefunden hat. Und das ist die Schere im Kopf. Als wäre Politik eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Dass man so redet, wie es das Medium will. Ich möchte gern wieder konzentrierter sein, fokussierter und auf die lange Distanz geeicht, nicht auf den kurzfristigen Geländegewinn. …“

Eine wichtige Selbsterkenntnis und Reflektion im Sinne von slow communication

Einige seiner Argumente haben mit der slow communication Orientierung zu tun. Denn slow communikation heißt, bedeutungsvoller, sinnvoller zu kommunizieren (meaningful communication). Heißt, fokussierter und zielgerichteter zu kommunizieren (fokus communication, target communication) – heißt, mehr Qualität (quality commmunication). Die Schritte dazu sind einfach:

  • den banalen Rat: „Erst denken, dann sprechen, dann handeln“ beherzigen;
  • öfter schweigen und nicht jede Informations- oder Aufgeregtheitswelle surfen;
  • öfter die „längere Distanz“ gehen, statt schnell und unter vermeintlichem Zwang zu reagieren;
  • mehr wahrnehmen, nachfühlen, nachdenken und Informationen zu Wissen verdauen;
  • die eigenen Verantwortung für die Kommunikationskultur erkennen und entsprechend zu handeln.

Dann verändert sich vieles, egal in welchem Medium.

Meiner Meinung nach aber, greift ein Teil seiner Argumente zu kurz.

Kann mit Twitter und Facebook wirklich nur aggressiv, laut, polemisch und zugespitzt kommuniziert werden? Ist das Medium „schuld“ oder liegt es nicht eher am Umgang damit? Muss man immer die üblichen Verdächtigen Hass, Böswilligkeit, Aggression, Fake-News und Hetze bemühen, wenn es einfach am (Tief)Sinn und Benehmen mangelt?

Es gibt so viele wunderbar kurze, durchaus auch scharf und provokativ formulierte Texte. Worte, über die man schmunzelt, die zur Diskussion anregen, die einen zwingen, Dinge zu hinterfragen. Beispielsweise Georg Christoph Lichtenberg:

Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten mäßig entstellt.

Ein Satz so kurz, dass er getwittert werden könnte!

Und ist ein „durch Affekte ausgelöstes, auf Angriff ausgerichtetes Verhalten des Menschen, das auf einen Machtzuwachs des Angreifers bzw. eine Machtverminderung des Angegriffenen zielt“ nicht in jeder politischen Debatte zu finden (das ist nämlich die Definition von Aggression) ? Auch „weichgespült“ kann man/frau voll danebenliegen. Hanlon’s Razor lässt grüßen:

„Schreibe nichts der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist.“

Wobei Dummheit ebenso durch fehlende Sorgfalt und Unkonzentriertheit ersetzt werden kann. Offensichtlich gezeigt, durch zu schnell produzierte, unbedachte Worte und Bilder! So wie häufig auf Twitter oder in Facebook, stets auf der Jagd nach Klicks und Likes.

Fazit: Slow communication braucht kein Medienbashing

Slow communication heißt lernen. Nämlich die notwendige Kompetenz, alte, neue und künftige Medien wirkungsvoll und situationsgerecht zu nutzen. Es bleibt spannend, wie sich Robert Habecks politische Kommunikation entwickeln wird – und ob sein Beispiel Schule macht und Dinge verändert.